4. Methodischer Schwerpunkt Nr. 4: Handlungsorientierte Lernsituationen und soziale Kompetenz
Handlungsorientierte Verfahren bieten im Psychologieunterricht die Möglichkeit, soziale Kompetenzen konkret einzuüben. Hier werden nicht nur "handlungspropädeutische" Kognitionen vermittelt, sondern einzelne soziale Teilkompetenzen können auch in simulierten oder realen Situationen erprobt werden.
Darüber hinaus erlauben handlungsorientierte Verfahren neben der inhaltlichen Integration von Unterrichtsgegenständen die Organisation besonderer sozialer Lernsituationen. Sie sollen nämlich so angelegt sein, daß Schüler selbständig und auf ein Handlungsziel orientiert in Zusammenarbeit mit anderen ihre Handlungsprodukte erzeugen können.
Meyer (1991) nennt folgende Hauptkennzeichen handlungsorientierter Verfahren:
a) Im Mittelpunkt des Handlungsorientierten Unterrichts steht die Herstellung eines gemeinsamen Handlungsprodukts. Handlungsprodukte können in unterschiedlichen Symbolisierungsformen vorkommen. Es können
- materielle Produkte sein (z.B. ein geschriebener "Leitfaden", eine "Expertise"),
- inszenierte Vorgänge (z.B. ein Rollenspiel, die Simulation einer Diskussion)
- oder größere, auch den Schulrahmen überschreitende Projekte (z.B. eine Umfrage, ein sozialpsychologisches Feldexperiment)
b) Schüler arbeiten dabei selbständig unter möglichst eigenständiger Planung und Steuerung ihrer Aktivitäten, und sie arbeiten zusammen, also mit Partnern oder in Gruppen, wobei sie die Arbeitsphasen nach Möglichkeit selbständig organisieren.
c) Der Lehrer regt an, berät, koordiniert. Seine Aufgabe ist es, eine Einmischung soweit wie möglich zurückzunehmen, aber dennoch seine Sach- und Planungskompetenz zur Verfügung zu stellen.
d) Handlungsorientierter Unterricht sollte ganzheitlich sein; d.h. in die Herstellung des Produkts sollten größere zusammenhängende inhaltliche Bereiche des Unterrichts einfließen (inhaltlicher Aspekt), es sollte methodisch integriert gearbeitet werden (methodischer Aspekt) und größere Fähigkeitsbereiche jeder Person sollten angesprochen werden (personaler Aspekt).
e) Bei der Auswahl von Themen, Produkten und Zielen sollten die subjektiven Interessen der Schüler berücksichtigt werden. Sie sollten die Möglichkeit erhalten, durch "handelnden Umgang mit neuen Themen und Problemen" ihre Interessen weiterzuentwickeln.
Handlungsorientierte Verfahren sind in der Lage, die drei bisher beschriebenen methodischen Schwerpunkte zu integrieren:
- Sie können Elemente unmittelbaren Erlebens enthalten oder auf diesen aufbauen.
- Die Vereinbarung eines Handlungsproduktes als Ziel kann Ausgangspunkt werden für Entdeckendes Lernen. Das Gesamtverfahren wird problemorientiert.
- Handlungsorientierte Verfahren können an konkrete Alltagsphänomenen ansetzen oder zu diesen hinführen. Sie bilden eine ausgezeichnete Möglichkeit zur konkreten Anwendung von Theoriewissen im Alltag.
Ein Blick auf die konstruktivistischen Unterrichtsprinzipien zeigt außerdem, daß Handlungsorientierter Unterricht, wenn er auf geeignete Handlungsprodukte ausgerichtet ist, gute Aussichten bietet, zu "situiertem Wissen" zu führen:
- Es ist möglich, Handlungsprodukte hoher Komplexität zu wählen. Damit können handlungsorientierte Verfahren zu einer Integration des Wissens führen, weil sie eine Reihe von Teilaspekten, die möglicherweise bisher unverbunden waren, durch Ausrichtung auf ein Handlungsprodukt in einen zusammenhängenden Kontext bringen.
- Es ist ebenso möglich, Handlungsprodukte hoher Authentizität zu wählen. Dadurch wird die Selbsttätigkeit angeregt, und die Schüler erhalten bei der Erarbeitung des Handlungsprodukts Gelegenheit, ihr Wissen in eigener Regie ("selbstkonstruktiv") zu erweitern.
Insbesondere aber gilt:
- Die Erstellung eines Handlungsprodukts ist selber Wissenskonstruktion im situativen Kontext. Wissen kann durch Handeln zu Handlungswissen werden, das zu einer Erhöhung der sozialen Kompetenzen der Schüler führt, kurz:
Handlungsorientiertes Lernen bedeutet (per definitionem) den Erwerb situierten Wissens und sozialer Handlungskompetenz.
An fünf Beispielen soll nun gezeigt werden, wie handlungsorientierte Verfahren im Kontext der Paradigmenorientierten Didaktik realisiert werden können. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf Handlungsprodukten, die den Schülern erlauben,
- selber paradigmatische Alltagsbeispiele zu generieren,
- aus unterschiedlichen paradigmatischen Perspektiven unterschiedliche Handlungsmuster abzuleiten, diese selber einzuüben und vergleichend zu bewerten,
- aus verschiedenen paradigmatischen Perspektiven selbständig zu argumentieren und
- paradigmatische alltagspsychologische Annahmen der sozialen Umgebung empirisch zu untersuchen.
4.2.1 Beispiel 1: Herstellung einer gewichteten Liste von Alltagsbeispielen
Projekt "Alltagsbeispiele"
Ziel ist das Erstellen einer Liste von "möglichst typischen" Alltagsbeispielen für Klassisches Konditionieren:
In Gruppen von 4-6 Teilnehmern soll nach Alltagsbeispielen gesucht werden für (Klassische) Konditionierungsprozesse bei Gefühlen. Günstig ist die Bildung von insgesamt vier Gruppen: zwei bekommen den Auftrag, nach der Konditionierung negativer Gefühle (Angst, Ekel ...) zu suchen, die beiden anderen sollen dies für positive Gefühle (Liebe, Zuneigung, "romantische" Gefühle ...) tun.
1. Durchführung der Gruppenarbeit:
Phase 1: Alle Gruppen wenden die Methode SNA (Suche nach Alternativen) nach De Bono an:
Regeln:
- Jeder Vorschlag wird von allen stichwortartig notiert.
- Jede Kritik ist verboten (auch die durch nonverbale Äußerungen wie tiefes Luftholen oder "Augen verdrehen"!).
- Freies Spiel der Gedanken ist erwünscht.
- Quantität geht vor Qualität.
- Ideen anderer aufnehmen und weiterentwickeln.
Alle Teilnehmer kontrollieren die Einhaltung der Regeln und protestieren bei Verstoß! Sind die Schüler in der Methode noch ungeübt, so erhalten sie die fünf Punkte der SNA-Methode schriftlich vorgelegt.
Phase 2: Wenn keine neuen Ideen mehr kommen, Auswahl und Diskussion einzelner Vorschläge; Kriterium: das "Lernschema des Klassischen Konditionierens" muß anwendbar sein. (Nachweis erforderlich!)
Phase 3: Die akzeptierten Vorschläge sollen nun gruppenintern danach geordnet werden (z.B. durch bilden einer Rangreihe) ob sie als sehr typisch für das Lernen durch Klassisches Konditionieren angesehen werden oder als weniger typisch.
(Hinweis: Die Diskussion über die Frage, ob ein Beispiel "typisch" ist oder nicht, führt auf eine Verbalisierung der Kriterien für "paradigmatische Anwendungen" der Theorie.)
2. Auswertung im Plenum
Aus jeder Gruppe trägt jeweils ein Mitglied die "sehr typischen" Beispiele vor, die von allen anderen stichwortartig notiert werden. Jeder hat das Recht, die Erläuterung des Lernschemas zu verlangen. Danach trägt ein Mitglied jeder Gruppe die "weniger typischen" Beispiele vor. Im gesamten Kurs wird diese Unterscheidung diskutiert.
4.2.2 Beispiel 2: Inszenierung eines Rollenspiels "Expertenkontroverse"
Projekt: "Expertenkontroverse"
Ziel ist die Simulation einer Expertenkontroverse über verschiedene fallbezogene Handlungsmuster, die unterschiedlichen Paradigmen entstammen.
Aufgaben- und Problemstellung:
1. Der fiktive Brief eines Kindergartenerziehers vorgelegt und verlesen:
Ein Fallbeispiel: Sascha will nicht in den Kindergarten
Schreiben des im Kindergarten von Talheim arbeitenden Erziehers Lämmer an die psychologische Beratungsstelle:
Sehr geehrte Damen und Herren, heute wende ich mich mit einem Problem an Sie, das wir Erzieherinnen und Erzieher im Kindergarten Talheim nicht mehr alleine bewältigen können:
Es geht um den kleinen Sascha, 3 ½ Jahre, der seit drei Monaten bei uns angemeldet ist, aber noch keinen vollen Vormittag im Kindergarten verbracht hat. Jeden Tag spielt sich dasselbe ab: Wenn er gebracht wird, ist er noch ruhig, aber dann, wenn die Person, die ihn bringst, wieder geht, beginnt er unablässig zu schreien, so daß er nach einiger Zeit leider wieder mitgenommen werden muß.
Aber alles von vorn: Am ersten Kindergartentag, die Mutter hatte ihn gebracht und war gerade gegangen, da hatte ihn ein größeres Kind beim Hineingehen unabsichtlich angerempelt, nichts Schlimmes, nur ein kleiner Kratzer am Kopf. Aber er begann gleich zu schreien und hörte nicht wieder auf. Das Geschrei war bis auf die Straße zu hören. Die Mutter ist dann nach ein paar Minuten zurückgekehrt und hat Sascha wieder mitgenommen. Aber am nächsten Tag war es dasselbe. Wieder begann er jämmerlich zu schreien, diesmal schon beim Hineinkommen, obwohl sonst wirklich alle nett zu ihm waren. So geht das nun seit drei Monaten. Wir Erzieher geben uns zwar die größte Mühe, aber wenn wir auf ihn zugehen, wird alles nur noch schlimmer.
Er macht das aber nicht nur, wenn die Mutter ihn in den Kindergarten bringt. Wie sie uns erzählt, kann sie das auch nicht täglich tun, da sie alleinerziehend und berufstätig ist und sehr unregelmäßige Arbeitszeiten hat. Sascha wird dann manchmal von der Oma, manchmal auch von einer Freundin der Mutter oder, wenn die nicht kann, von der einen oder anderen Nachbarin abgeholt, wo er dann auf seine Mutter wartet. Die seien alle wirklich sehr nett zu ihm, sagt die Mutter, und sie würden ihr schon seit Saschas Geburt bei der Betreuung des Kindes helfen. Alles wirklich zuverlässige Leute, wie die Mutter betont.
Solche Fälle kommen im Kindergarten öfters vor, aber Saschas Verhalten ist inzwischen zu extrem geworden. Dabei wäre es doch für das Kind wie auch für die Mutter so wichtig, daß Sascha in den Kindergarten geht.
Nun meine Frage an Sie als Experten: Welche Ursachen hat wohl Saschas Verhalten? Vor allem aber: Was kann konkret getan werden?
Ich würde zu einem Beratungsgespräch gerne einmal bei Ihnen vorbeikommen.
Mit freundlichen Grüßen Lämmer |
Der Kurs wird nach Sitzposition ("linke Seite"/"rechte Seite") in zwei Gruppen geteilt. Beide sollen ein "Beratungsgespräch" vorbereiten, und zwar
Gruppe 1 aus behavioristischer
Gruppe 2 aus tiefenpsychologischer Perspektive, indem Sie:
a) die Ursachen des vorliegenden Problems,
b) mögliche Interventionen,
c) aus ihrer Perspektive gänzlich ungeeignete Maßnahmen herausarbeiten.
(Partnerarbeit, ca. 15 Minuten)
Mögliche Lösungen:
Die behavioristische Perspektive:
- zu a:
Ursache: Rempler am ersten Kindergartentag; Kratzer am Kopf
vor dem Konditionierungsprozeß: Kindergarten Freude/neutrale Reaktion
unkonditionierter Reflex: Sturz, Verletzung Schreck, Schreien
Konditionierungsprozeß (am ersten Tag): Kg + Verletzung Schreck, Schreien
konditionierter Reflex: Kindergarten Schreck, Schreien
Da Sascha immer wieder mitgenommen wird, wenn er zu Schreien beginnt, kann die konditionierte Reaktion nicht mehr gelöscht werden.
- zu b:
Geeignete Maßnahmen: systematische Desensibilisierung der konditionierten
Reaktion: Sascha bleibt erst nur kurz, dann länger im Kindergarten
(Löschung); Mutter oder Betreuungsperson entfernt sich systematisch immer weiter; wenn S. weint, beruhigen, evtl. an bekannte Kindern oder interessantes Spielzeug heranführen (Ziel: Gegenkonditionierung)
- zu c:
völlig ungeeignet: S. wieder mitzunehmen (verhindert die Löschung)
Die tiefenpsychologische Perspektive:
- zu a:
Ursache: Trennungsängste, die aus unzuverlässiger Bindung in der (frühen) Kindheit resultieren
Mutter hat sich die Pflege des Kindes mit zu vielen verschiedenen Personen geteilt; so konnte keine sichere Primärbindung zustande kommen;
evtl. Resultat: Trennungs- oder Verlassenheitserlebnisse; S. überträgt heute diese Erlebnisse auf die Kindergartensituation.
- zu b:
Kreis der Bezugspersonen verkleinern; feste Bp sichern; Aufbau von Vertrauen zu Erziehern und anderen Kindern, z.B. diese zunächst nach Hause einladen; nichts unternehmen, was verunsichern könnte.
- zu c:
Völlig ungeeignet ist es, sich aus dem Kg. zu entfernen, obwohl S. weint; auch wenn es nur für kurze Zeit wäre, verunsichert ihn dies; die Trennungsängste kommen wieder hervor.
2. Simulation eines Beratungsgesprächs
Beide Gruppen tragen ihre Ergebnisse vor. Es wird in Rollen ("Berater" - "Erzieher") gesprochen; der Lehrer übernimmt die Rolle des zu beratenden Erziehers und steuert durch "naive" Gegenfragen
- die theoretischen Argumentationsbezüge sowie die Argumentationstiefe,
- die Verwendung der Fachbegriffe,
- die Übersichtlichkeit des Gesamtzusammenhangs,
insbesondere aber:
- die prägnante Ausbildung kontroverser Positionen!
Die wichtigsten Aspekte werden tabellarisch an der Tafel festgehalten. (Der ratsuchende "Erzieher" notiert sich die Analysen und Ratschläge.)
3. Reflexion und Auswertung im Nachgespräch (Metaebene)
Die Erfahrung konträrer Positionen, die aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Hintergrundannahmen entstehen, wird nach unterschiedlichen Aspekten reflektiert. Mögliche Aspekte:
- Welche Gefühle kamen auf während der Ausarbeitung der Argumentation (z.B. wenn die auszuarbeitende Position nicht den eigenen Vorstellungen entsprach)? Welche Gefühle kamen auf während des Austauschs der Argumente? (Reflexion der Erfahrungen)
- Was sind die Hauptunterschiede der beiden Paradigmen (Metaebene: Theorievergleich)
- Welche Fakten werden beachtet / welche nicht?
- Welche Bedeutung haben jeweils die Ursachen der Störung?
- Welche Theorie hat recht? (Abhängigkeit der Argumentation und Analyse von den Basisannahmen)
- Was würde ein psychologischer Laie hier tun? Was könnte man tun, ohne eine der Theorien zu berücksichtigen? Was sagt der "gesunde Menschenverstand"? (Unmöglichkeit, voraussetzungsfrei bzw. theorieunabhängig zu handeln)
- Kompromißmöglichkeiten erörtern (Maßnahmen, die am wenigsten miteinander kollidieren)
4.2.3 Beispiel 3: Herstellung eines Videofilms "Strategien zur Gewinnung von Selbstsicherheit"
Projekt: "Videofilm: Selbstsicherheit"
Ziel ist die Herstellung eines Videofilms zum Thema "Strategien zur Gewinnung von Selbstsicherheit", der für gleichaltrige Jugendliche geeignet sein soll.
Verschiedene Schülergruppen (3-5 Mitglieder) planen, spielen, und kommentieren eine Videoaufzeichnung, die unterschiedliche Formen selbstsicheren und nicht-selbstsicheren Verhaltens zeigen und Handlungs- Verhaltens- oder Denk- und Interpretationsalternativen demonstrieren soll.
Dabei soll jede Gruppe selbstsicheres / selbstunsicheres Verhalten, seine Ursachen wie auch Veränderungsmöglichkeiten jeweils aus einer anderen paradigmatischen Sicht behandeln. Die einzelnen Gruppen sollten die Vorlagen für ihre Verfilmung möglichst selbständig erarbeiten; die unten dargestellten Beispiele stellen lediglich Möglichkeiten dar, die den Schülerinnen und Schülern auch als Hilfe angeboten werden können.
(Dieses Projekt kann auch sinnvoll ohne Videoaufzeichnung durchgeführt werden. Handlungsprodukte sind dann die einzelnen szenischen Darstellungen.)
Gruppe 1: Selbstsicherheit aus kognitivistischer Sicht
Beispiel:
- Darstellung einer konflikthaften Alltagsszene (z.B. eine Schüler bittet den Direktor um eine Beurlaubung)
- Demonstration und Analyse möglicher Denk- und Interpretationsmuster des Schülers, die Bestandteil von Selbstunsicherheit sind.
- Demonstration und Analyse möglicher Denk- und Interpretationsmuster des Direktors, die Bestandteil von Selbstunsicherheit sind.
- Variation und Analyse verschiedener Vorgehensweisen ("self-monitoring", Durchsetzungsstrategien des Schülers) und deren Wirkungen.
Gruppe 2:
Beispiel:
- Analysieren von typischen auslösenden Situationen für soziale Ängste bei selbstunsicheren Jugendlichen.
- Darstellung von Auslösern und Reaktionen im Spiel.
- Einübung schrittweise desensibilisierender Verhaltensweisen ("Selbstsicherheitstraining") - Demonstration alternativen Verhaltens.
- lerntheoretische Ratschläge zur Übertragung in den Alltag
Gruppe 3: Selbstsicherheit aus psychobiologischer Sicht
Beispiel:
- Darstellung alltäglicher Formen des sozialen Dominanzverhaltens und der Subdominanz: dominantes/subdominantes
Raumverhalten, Sprechen, Gestikulieren, Blickverhalten usw.; Spielen alltäglicher Szenen.
- Vorstellen und Einüben von Strategien zur Veränderung subdominanter Verhaltensweisen bzw. zur Einübung dominanter Verhaltensweisen.
Gruppe 4: Selbstsicherheit aus tiefenpsychologischer Sicht
Beispiel:
- Szenische Darstellung von Situationen, die Minderwertigkeitsgefühle erzeugen - Übertragungssituationen
- typische Formen der "Kompensation von Minderwertigkeit": Aggressivität, Narzißmus, Größenwahn, Demütigung Schwächerer (Alltagsszenen mit Kommentar)
- Möglichkeiten des Aufbaus von "Zugehörigkeitsgefühlen" - Erzeugung von Erfolgserlebnissen - Umgang mit der Minderwertigkeit
In koordinierenden Phasen führen die Gruppen den Stand ihrer Bemühungen dem Plenum vor.
4.2.4 Beispiel 4: Simulation einer Podiumsdiskussion über "Leistungsangst bei Schülern"
Projekt: "Podiumsdiskussion über Leistungsangst"(nach einer Idee von Kira Alsleben)
Ziel ist die Simulation einer umfangreichen Podiumsdiskussion zum Thema "Leistungsangst" mit "Experten" verschiedener paradigmatischer Herkunft und "Publikum", das seine Alltagserfahrungen einbringen kann.
1. Die Spielvorlage
"Anzeige" in der örtlichen Zeitung:
Im Gymnasium unserer Stadt findet heute abend eine Podiumsdiskussion statt zum Thema:
"Leistungsangst bei Schülern"
Worin liegen die Ursachen? Was kann man dagegen tun?
Dazu sind drei wissenschaftliche Experten der Universität und eine große Teilnehmerzahl von Schülern, Eltern sowie Lehrern der Schule eingeladen. Außerdem ist jeder Bewohner unserer Stadt willkommen. Die Experten werden aus wissenschaftlicher Sicht zum diesem Thema Stellung nehmen. Alle Teilnehmer aus der Bevölkerung haben die Gelegenheit, grundsätzliche, aber auch persönliche Fragen mit den Experten zu erörtern. |
2. Vorbereitungsphase (ca. 15 Minuten)
a) Drei "Experten" (freiwillige oder vom Lehrer ausgesuchte Schüler) erhalten den Auftrag, je einen Kurzvortrag (Dauer ca. 5 Minuten) auszuarbeiten zum Thema:
"Das Problem der Leistungsangst - Möglichkeiten der Hilfe und Vorbeugung"
Experte 1: aus tiefenpsychologischer Sicht
Experte 2: aus behavioristischer Sicht
Experte 3: aus kognitivistischer Sicht
b) Gleichzeitig erhalten alle anderen Schüler den Auftrag, sich auf die Rolle eines Diskussionsteilnehmers im Plenum vorzubereiten, und zwar (Rolle nach Wahl):
- Ich als Schüler habe in meiner bisherigen Schulzeit (z.B. bei Mitschülern) die folgende Erfahrung gemacht ... und möchte nun wissen ...
- Ich als Lehrer habe mit der Leistungsangst einzelner Schüler das folgende Problem ... und möchte nun an die Experten die Fragen stellen ...
- Ich als Mutter / Vater habe gehört, Leistungsangst komme daher, daß ... und möchte an die Experten die Frage stellen ...
c) Während der 15-minütigen Vorbereitungszeit fertigt der Vl drei Schilder an und setzt entsprechend die Namen ein:
Prof. Dr. ...
Universität ...
|
Außerdem werden als "Podium" zwei Tische vor die Klasse gerückt und dahinter drei Stühle (Blick auf die "Zuhörer")
3. Die Podiumsdiskussion
a) Die "Experten" (Schüler) nehmen Platz, der "Leiter" (Lehrer) begrüßt förmlich:
"Meine Damen und Herren ..., ich möchte Ihnen vorstellen: Frau/Herrn Professor ..., ich wünsche einen erfolgreichen Abend und gebe das Wort an Prof. ... "
b) Vortrag der drei "Experten" (ob unterbrochen werden darf, können diese selbst bestimmen).
c) Eröffnung der Diskussion durch den "Leiter":
"Ich möchte nun die Diskussion eröffnen; Sie werden sicher viele Fragen an unsere Experten haben ...
Wichtig: Geben Sie bitte bei jeder Frage an, ob Sie Schüler, Eltern oder Lehrer sind!
Selbstverständlich können Sie auch untereinander diskutieren!"
Die Diskussion sollte mit möglichst wenigen Eingriffen des Lehrers ablaufen. Fragen oder Bemerkungen der Schüler, die aus dem Spielzusammenhang fallen, sollte der Lehrer möglichst nur als Teilnehmer der Veranstaltung beantworten (z.B.: "Wir sollten die Frage an Prof. ... weiterleiten"); evtl. kann der Lehrer die Rolle wechseln und als Teilnehmer selbst fragend Impulse setzen (z.B.: "Frau Prof. ..., ich bin Lehrer an dieser Schule ... können Sie mir vielleicht sagen ..." oder: "Ich habe dazu letztens ein Buch gelesen, und dort stand ...")
Zeit: Ende offen, oder bis die Fragen ausgehen (oder die Schulklingel läutet)
4.2.5 Beispiel 5: Eine Untersuchung zu "Alltagspsychologischen Denk- und Erklärungsmustern"
Projekt: "Untersuchung subjektiver psychologischer Alltagstheorien"
Ziel dieses Projektes ist eine empirische Untersuchung alltagspsychologischer Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster ("subjektiver Theorien") und die statistische Auswertung dieser Untersuchung.
Jeder Schüler befragt mehrere Versuchspersonen verschiedenen Alters und Geschlechts. Die Befragung wird im Unterricht vorbereitet und ausgewertet.
1. Vorbereitung der Befragung: Aufgabenstellung für jeden Teilnehmer
Leitfaden für die Befragung:
a) Bitten Sie ihre "Versuchsperson" um ein kurzes Gespräch unter vier Augen. Sagen Sie, es ginge um eine Befragung für den Unterricht. Notieren Sie Alter und Geschlecht der befragten Person.
b) Lesen Sie nun das Fallbeispiel des Herrn F (s.u.) wörtlich vor. Antworten Sie auf Nachfragen nach Details stets freundlich, daß Sie mehr auch nicht wüßten.
c) Frage nun an ihre Versuchsperson (wörtlich"!):
"Was glauben Sie, welche Hauptursache Herrn F´s Problem hat? Welches wäre die wichtigste Maßnahme, um sein Problem zu lösen?"
d) Lassen Sie den Befragten möglichst ohne Unterbrechung antworten, und notieren Sie dabei möglichst detailliert:
Welche Fakten des Falles werden als Hauptursache genannt? Welche Vermutungen über die Ursachen werden aufgestellt?
Welche wichtigste Maßnahme wird zur Lösung vorgeschlagen? Wie wird Sie begründet?
e) Sollte die befragte Person mehrere Ursachen vermuten, so fragen Sie nach der wichtigsten oder wahrscheinlichsten, schlägt Sie mehrere Maßnahmen vor, so fragen Sie nach der, die Sie am meisten empfehlen würde.
f) Fassen Sie am Ende noch einmal in eigenen Worten zusammen:
Sie sehen also die Hauptursache für Herrn F´s Problem darin, daß ...
Nach Ihrer Auffassung ist die wichtigste Maßnahme, um Herrn F zu helfen, ...
Warten Sie die Bestätigung ab, und korrigieren Sie gegebenfalls Ihre Aufzeichnung.
Der Fall des Herrn F Herr F ist Nichtschwimmer. Das heißt, eigentlich ist Herr F. richtig wasserscheu. Nicht daß er Angst hätte, sich zu waschen oder zu duschen; schwierig wird es immer, wenn ihm "das Wasser bis zum Halse steht". In der Badewanne zum Beispiel, wird ihm schon recht unbehaglich, weswegen er seine Körperhygiene aufs Duschen beschränkt. Ganz unmöglich ist ihm der Aufenthalt in tieferem Wasser, wenn er, wie er sagt, "den Boden unter den Füßen zu verlieren" droht. Solche Situationen meidet Herr F., auch, wenn seine Freunde sich über ihn lustig machen; so zum Beispiel nach dem Tennisspielen, wenn alle regelmäßig noch ins Schwimmbecken springen. Wird er nach den Ursachen für seine Angst gefragt, dann weist er auf die Statistiken der vielen, jährlich vor dem Ertrinken Geretteten hin. Außerdem, so sagt Herr F. liege dies in der Familie: von seinen Eltern und Geschwistern könne auch niemand schwimmen, und niemals wären seine Eltern auf die Idee gekommen ins tiefe Wasser zu gehen.
Dies alles wäre kaum erwähnenswert, würde Herr F. nicht in der nächsten Zeit eine Kur antreten müssen. Schon seit Beginn seiner beruflichen Tätigkeit, ja eigentlich schon seit seiner Schulzeit klagt er über Schlafstörungen und Überarbeitung. Er fühlt sich ständig überfordert, müde und ausgepumpt. Dabei sei er, so berichtet er seinem Hausarzt, Arbeiten gewohnt; in seiner Familie sei Höchstleistung immer selbstverständlich gewesen. Der Vater sei mit den Kindern schon in der Kindergartenzeit streng "ins Gericht gegangen", wenn sie ihren Pflichten nicht sorgfältigst nachgegangen waren. Und nun, so Herr F., sei er über das Nachlassen seiner Leistungsfähigkeit äußerst besorgt. Der Hausarzt sorgt nun dafür, daß Herr F. eine mehrwöchige Badekur absolvieren kann. Herr F. aber sieht den Vollbädern und vor allem dem Aufenthalt im Thermalbecken mit größtem Unbehagen entgegen. |
2. Quantitative Auswertung
Wird diese Befragung von allen Schülern eines Kurses durchgeführt, dann können hier große Mengen von Daten anfallen. Um diese zu systematisieren, kann wie folgt verfahren werden:
- In Gruppen (4-6 Mitglieder) werden die von den jeweiligen Teilnehmern mitgebrachten Ergebnisse begutachtet. Dabei wird
- die jeweils genannte "Hauptursache" einem der psychologischen Paradigmen zugeordnet,
- die jeweils genannte "Hauptmaßnahme" ebenfalls einem der psychologischen Paradigmen zugeordnet.
(Der Lehrer kann jeweils um Rat gebeten werden; in jedem Fall aber entscheidet die einfache Mehrheit in der Gruppe.)
- Es ergibt sich so für jede befragte Person die folgende Datenreihe:
- Geschlecht - Alter - Paradigma "Ursache" - Paradigma "Maßnahme"
- Die folgenden Fragen können nun durch sehr einfache deskriptiv- und inferenzstatistische Berechnungen beantwortet werden (5 x 2
- Feldertafeln und Chi-Quadrat-Test):
Wie verteilen sich die paradigmatischen Vorlieben bei der Wahrnehmung der Ursachen und bei den Vorschlägen für Maßnahmen in der befragten Stichprobe? Gibt es bevorzugte Interpretationsformen oder Maßnahmen?
Gibt es Geschlechtsunterschiede in der Bevorzugung eines Paradigmas (bei Ursachenwahrnehmungen bzw. Maßnahmenvorschlägen)?
Gibt es Altersunterschiede (z.B. "unter 30 Jahre" - "ab 30 Jahre")?
Wie häufig stimmen Ursachen und Maßnahmen in der paradigmatischen Zuordnung nicht überein? In welcher Alters- bzw. Geschlechtsgruppe ist dies am häufigsten?
3. Abschlußdiskussion (mögliche Themen)
Methodische Aspekte:
- War die Gesamtstichprobe repräsentativ (für welche Grundgesamtheit)?
- Welche Informationen sind dadurch verlorengegangen, daß die befragte Person sich auf jeweils eine Hauptursache/Maßnahme festlegen mußte?
- War die nachfolgende paradigmatische Zuordnung valide - wie objektiv war das Verfahren?
Inhaltliche Aspekte:
- Welche Erklärungen bieten sich an für die obigen Ergebnisse?
- Ist die Wahl eines Paradigmas spezifisch für eine Person - oder hängt sie eher von den jeweiligen Gegebenheiten des Falles ab?
- Ist den Befragten bewußt, daß es auch andere Möglichkeiten der Interpretation gibt? Welche Hinweise gibt es dafür? (Dies kann nur aus "Nebenerfahrungen" bei der Befragung beantwortet werden, wenn da Verfahren die Vp auf eine Hauptursache festlegt!)
Handlungsorientierte Verfahren, so die zentrale Annahme des vierten methodischen Schwerpunktes, sind originäre Situationen zum selbständigen Aufbau situierten Wissens in sozialen Situationen. Sie ermöglichen gleichzeitig die Einübung konkreter sozialer Kompetenzen.
Handlungsorientierte Verfahren sind auf ein Handlungsprodukt hin orientiert, das die selbständigen Bemühungen der Schüler bündelt und integriert und mit einem operationalen Ziel versieht.
Im Rahmen der Paradigmenorientierten Didaktik sind handlungsorientierte Verfahren deshalb besonders geeignet, einerseits "höhere" (kognitive) Lernziele der Analyse und Bewertung anzustreben, andererseits konkretes soziales Handeln zu üben.
An fünf Beispielen wurde gezeigt, welche konkreten Ziele für die Schüler hier erreichbar sind:
- Schüler können paradigmatische Wahrnehmungs- und Erklärungsschemata, selbständig und an konkreten Alltagskontexten orientiert, praktisch anwenden und dabei metatheoretisch auf ihre "typischen" Eigenschaften hin untersuchen. (vgl. Projekt "Alltagsbeispiele")
- Sie können verschiedene paradigmatische Wahrnehmungs- und Erklärungsschemata sowie zugehörige Interventionsformen unter praktischen Gesichtspunkten einander gegenüberstellen. Die unterschiedliche Verwendung kann auf ihre Implikationen hin reflektiert werden (Wahrheitsgehalt, Anwendbarkeit, Auswahlkriterien usw.). (vgl. Projekt "Expertenkontroverse")
- Zu einem problematischen psychischen Phänomen (hier Selbstunsicherheit) können aus verschiedenen paradigmatischen Perspektiven verschiedene konkrete Handlungsalternativen abgeleitet werden. Diese können die Schüler in Simulationsspielen auch praktisch einüben. (vgl. Projekt "Videofilm: Selbstsicherheit")
- Die gelernten paradigmatischen Wahrnehmungs- und Erklärungsschemata lassen sich in einen komplexen Argumentationskontext einbinden. Es kann geübt werden, mit Ihnen zu argumentieren. (vgl. Projekt "Podiumsdiskussion über Leistungsangst")
- Psychologische Alltagstheorien können empirisch mit wissenschaftlichen paradigmatischen Wahrnehmungs- und Erklärungsschemata verglichen und daraufhin untersucht werden, ob sie Elemente wissenschaftlicher Apperzeptionsschemata enthalten. (vgl. Projekt "Untersuchung subjektiver psychologischer Alltagstheorien")
Damit sind handlungsorientierte Verfahren besonders geeignet, einerseits metawissenschaftliche und metaparadigmatische Reflexionen anzuregen, andererseits alltagsorientierte soziale Kompetenzen auszubilden.